| 12. Dezember 2022

Pionierarbeit: Entwicklung behindertengerechter Bushaltestellen

Axel Mühlemann, Tiefbauamt

Im 2004 trat in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) in Kraft. Seither befasst sich das Tiefbauamt mit der Umsetzung von hindernisfreien Bushaltestellen im Kanton Basel-Landschaft. Das Tiefbauamt hat in einem Entwicklungsprozess erfolgreich Standards implementiert für mehr Autonomie an Bushaltestellen.

Als das Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) im 2004 erlassen wurde, gingen die Verantwortlichen in den verschiedenen Kantonen davon aus, dass eine Perronhöhe von 16 cm und die ausklappbaren Rampen als Einstiegshilfe die Vorgaben erfüllen. Da die Rampen jedoch nur durch das Buspersonal bedient werden können, entschied das Bundesverwaltungsgericht im 2008, dass ausschliesslich der niveaugleiche Zugang zum öffentlichen Verkehr als autonom gilt. Nur so können sich Menschen im Rollstuhl ohne fremde Hilfe mit dem öffentlichen Verkehr fortbewegen. Entsprechend mussten die Haltekanten erhöht werden.

Sonderbordstein weiterentwickelt
Fachleute von Behindertenverbänden haben in der Nähe von Kassel (Deutschland) den bereits speziell entwickelten Sonderbordstein weiterentwickelt, um das Anfahren an die Perronkante des Busses zu ermöglichen und den niveaugleichen Einstieg in den Bus zu gewährleisten. Beim ersten Fahrversuch in Kassel konnten sich Vertreter des Tiefbauamts von der Funktion der Haltekante und dem Sonderbordstein überzeugen. Deshalb wurde beschlossen, diesen ebenfalls im Kanton Basel-Landschaft einzubauen. In Therwil wurde die erste Haltestelle mit dem sogenannten «Kasseler Sonderbord plus» mit einer Höhe der Perronkante von 22 cm erstellt.

Pilotprojekt: Bushaltestelle in Therwil (Quelle: TBA)

Anpassungen an Haltestellen und Bussen nötig 
Die ersten Fahrversuche mit BLT, BVB, AAGL und Postauto zeigten, dass diese Halte-kante bei einer sogenannten Fahrbahnhaltestelle, bei welcher die Niederflurbusse die Perronkante gerade anfahren können, funktioniert und keine Schäden an den Fahrzeugen entstehen. Die vom BehiG geforderten Spaltmasse zwischen Fahrzeugtüre und Perronkante in jedem Fall einzuhalten, war eine Herausforderung. Die Ausrichtung jeder einzelnen Haltestelle muss gesondert betrachtet werden, um Schäden an den Fahrzeugen oder an der Haltekante zu vermeiden und zugleich die Anforderungen gemäss BehiG zu erfüllen.  

Eine grössere Herausforderung war, bei Busbuchten die jeweiligen geforderten Spaltmasse einzuhalten. Hier brauchte es eine spezielle Lösung. Das Tiefbauamt hat deshalb die Bus-bucht mit Nase entwickelt, die das genaue Anfahren der Perronkante vereinfachen soll. Beim Erfahrungsaustausch an der Pilothaltestelle in Therwil stellte das Tiefbauamt das erste Mal diese neuartige Busbucht vor. Die Vertreterinnen und Vertreter der Transportunternehmen waren vom Ansatz überzeugt und sprachen sich für vertiefte Fahrtests aus.  

Erste realisierte Busbucht mit Nase beim Kantonsspital Liestal (Quelle: TBA)

Kantonsübergreifende Zusammenarbeit
Der Kanton Basel-Stadt war durch die BVB von Beginn an im Projekt involviert. Nach dem Entschluss, den Fahrversuch durchzuführen, wurden auch die Vertreterinnen und Vertreter der kantonalen Verwaltung beigezogen. Über die Behindertenverbände erfuhren andere Kantone und Verbände vom Projekt. Das Tiefbauamt hat in verschiedenen Kantonen über die Erkenntnisse und Erfahrungen mit der hohen Haltekante referiert.  

Durch den regelmässigen Austausch konnten alle Interessierten profitieren und mussten nicht die gleichen Untersuchungen und Entwicklungen durchlaufen. 

Hersteller von Niederflurbussen wurden einbezogen  
Da auch in Deutschland der barrierefreie Zugang zum öffentlichen Verkehr im Gesetz verankert ist, bestand ebenfalls ein Austausch mit den Hersteller- und Zulieferfirmen der Busse. Es konnte aufgezeigt werden, dass die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn Fahrzeug und Haltestelle genau aufeinander abgestimmt sind. Seit 2015 werden regelmässig Erkenntnisse an der Tagung «Koordination BehiG Bus» ausgetauscht.  

Testfahrten mit Interessierten schuf Akzeptanz (Quelle: TBA)

Wo stehen wir heute?
Dank dem Austausch unter den Kantonen wurde die in Basel-Landschaft mitentwickelte Ausbildung der Haltekante mit 22 cm Höhe als schweizweiten Standard eingeführt.  

Trotz den nun etablierten Standards muss jede einzelne Bushaltestelle separat betrachtet und geplant werden. Da innerorts oftmals knappe Platzverhältnisse vorliegen und um die Zufahrten zu den Liegenschaften sicher zu stellen, kann nicht jede Haltestelle vollständig behindertengerecht d.h. mit einer 22 cm hohen Haltekante ausgebaut werden. In solchen Fällen wird versucht, einen 22 cm hohen Einstieg bei einzelnen Türen (mit Kissen) auszubilden. Oder aber eine Kantenhöhe von 16 cm muss mit einer Klapprampe bedient werden. Um zu gewährleisten, dass bis circa Ende 2026 jede grössere Siedlungseinheit über eine behindertengerechte Bushaltestelle verfügt, hat der Landrat im Oktober 2022 eine Ausgabenbewilligung von 3.3 Millionen Franken für einen beschleunigten Umbau von 20 Haltekanten bewilligt.