| 19. April 2021

«Ich wünsche mir für den Kanton Basel-Landschaft Mut für Innovationen und eine gesunde Fehlerkultur»

Redaktion BUZ

Im Dezember 2020 hat Thomas Waltert (50) seine neue Aufgabe als Kantonsplaner des Kantons Basel-Landschaft angefangen. Im Interview mit der BUZ erzählt er, wie er in der Bau- und Umweltschutzdirektion aufgenommen worden ist, was er sich für die Zukunft des Baselbiets wünscht und wie er nach einem strengen Arbeitstag neue Kraft tankt.Im Dezember 2020 hat Thomas Waltert (50) seine neue Aufgabe als Kantonsplaner des Kantons Basel-Landschaft angefangen. Im Interview mit der BUZ erzählt er, wie er in der Bau- und Umweltschutzdirektion aufgenommen worden ist, was er sich für die Zukunft des Baselbiets wünscht und wie er nach einem strengen Arbeitstag neue Kraft tankt.

Quelle: Redaktion BUZ

BUZ: Wie haben Sie den Start in Ihre Aufgabe als Kantonsplaner des Kantons-Basel-Landschaft in dieser von Corona geprägten Zeit erlebt?
Waltert: Es ist eine surreale Zeit. Trotz der Umstände wurde ich sehr herzlich empfangen. Im Dezember haben mich die sechs Abteilungen (Kantonsplanung, Ortsplanung, Denkmalpflege, Lärmschutz, Rauminformation und Öffentlicher Verkehr) je an einem halben Tag in die Hauptaufgaben eingeführt. Wir konnten in dieser Zeit auch noch physische Sitzungen abhalten. So hatte ich die Möglichkeit, alle Mitarbeitenden persönlich zu treffen und teilweise auch Projekte vor Ort anzuschauen. Insgesamt erlebe ich die neuen Kolleginnen und Kollegen als sehr offen, direkt und sympathisch. Was ich bis jetzt wahrgenommen habe ist, dass im Amt für Raumplanung eine eingespielte Mannschaft tätig ist, die ihre «Kernaufgaben» im Griff hat.

BUZ: Wie lautet Ihr Fazit nach den ersten 100 Tagen als oberster Raumplaner des Kantons Basel-Landschaft?
Waltert: Erstmal bin ich froh, dass ich die Probezeit überstanden habe (lacht). Ein Fazit nach drei Monaten masse ich mir nicht an, aber die Zeit reicht aus, um die ersten Eindrücke reflektieren zu können. Ich nehme eine ausgeprägte intrinsische Motivation wahr. Nicht nur im ARP, auch in der BUD insgesamt und den Kantonsstellen, mit denen ich bislang zu tun hatte. Ich spüre Aufbruchsstimmung und ein hohes Mass an Gestaltungswille. Für mich ist das eine sehr willkommene Ausgangslage.

BUZ: Welche Projekte, die Sie von Ihrem Vorgänger Martin Kolb geerbt haben, liegen Ihnen besonders am Herzen?
Waltert: Grundsätzlich alle (lacht). Ich muss aber ehrlich gestehen, dass ich nicht eine Projektliste mit Prioritätensetzungen von Martin erhalten habe. Zwei Projekte möchte ich dennoch hervorheben:

Ein wichtiges Projekt ist die Dreispitz-Planung. Mit dem Quartierplan «Kunstfreilager» ist es gelungen, auf einem Teilgebiet des ehemaligen Zollfreilagers, mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst, mit Wohnungen, Ateliers, Studios, Ingenieur- und Architekturbüros, Restaurants und Läden einen lebendigen Mikrokosmos zu schaffen. Leider haben sich die beiden Halbkantone und die Christoph Merian-Stiftung nach zehnjähriger Arbeit von der Gesamtplanung distanziert. Mit den ambitionierten Vorhaben auf dem Migros- / OBI-Areal im Norden, dem FHNW-Campus an der Reinacherstrasse und einem neuen Universitätsstandort auf Münchensteiner Boden, wird es meiner Meinung nach unumgänglich sein, sich der gesamthaften Entwicklungsplanung wieder anzunehmen.

Ein anderes zentrales Projekt für Martin Kolb war «Salina Raurica». Der Ursprung von diesem grössten kantonalen Entwicklungsprojekt geht auf seinen Vorgänger Hans-Georg Bächtold zurück. In diesem Sinne ist es für mich selbstverständlich, mich für das Gelingen dieses ambitionierten Projektes einzusetzen. Das Projekt «Salina Raurica» ist mehr als eine Arealentwicklung. Der Perimeter umfasst rund 40 Hektaren, reicht von Schweizerhalle über die Rheinebene bis nach Augst und verfolgt eine Vielzahl von Entwicklungszielen. Herzstück der Entwicklung ist die Verlängerung der Tramlinie 14 von Pratteln bis nach Augst – eine gescheite Investition mit vielfachem Nutzen: Mit neuen Investitionen in die anderen Verkehrsträger kann die räumliche Situation insgesamt verbessert werden. Mit der Verlegung der Rheinstrasse an die Autobahn werden die Voraussetzungen für eine neue Beziehung der Gemeinden Pratteln und Augst zum Erholungs- und Landschaftsraum Rhein geschaffen. Der integrale Ansatz, mit welchem «Salina Raurica» von Beginn an angegangen wurde, ist mutig und zukunftsweisend und fand auch bei der Entwicklung des Rahmenplanes für «Salina Raurica Ost», dem neuen Wohn- und Arbeitsquartier auf Pratteler Boden und bei den Entwicklungsgebieten am Rhein auf Augster Boden, seinen Niederschlag. Der Kanton und die beiden Gemeinden haben mit «Salina Raurica» eine sehr gute Grundlage für eine qualitätsvolle räumliche Entwicklung geschaffen. Am 13. Juni wird das Baselbieter Stimmvolk aufgrund des Referendums zum Tram- und Busprojektkredit eine wegweisende Entscheidung fällen.

Blick von Pratteln auf Basel. (Quelle: Martin Huber)

BUZ: Wo sehen Sie die grössten raumplanerischen Herausforderungen für den Kanton Basel-Landschaft?
Waltert: Die grössten Herausforderungen für den Kanton, nicht nur in Bezug auf die Raumplanung, sind nach meiner Einschätzung die drei folgenden:

Die Corona-Krise überwinden: Die letzten zwölf Monate haben uns in einen Ausnahmezustand geführt, aus dem wir wieder einen Ausgang werden finden müssen. Die finanziellen Auswirkungen werden uns für längere Zeit beschäftigten. Ebenso das Mobilitätsverhalten, die veränderten Ansprüche an Büro- und Wohnungsbauten, wie auch an das Wohnumfeld.

Den Klimawandel angehen: Der «Tierfilmer der Nation», Andreas Moser hat es treffend gesagt: «Corona ist im Vergleich zum Klimawandel reines Nasenwasser». Wenn wir uns vor Augen führen, dass die Bereiche «Bauwirtschaft» und «Mobilität», je nach Zählweise für 60 bis 80 Prozent der CO2-Produktion verantwortlich sind, wird uns bewusst, wie wichtig Verbesserungen in diesen Bereichen sind. Mit den Mitteln der Raumplanung können wir in vielen Bereichen zuhanden der Politik und Gesellschaft die Voraussetzungen und Rahmenbedingen für die Mobilität der Zukunft, für innovatives Bauen, lebenswerte Stadträume, für zukunftsweisende Regionalplanungen und eine intakte Landschaft erarbeiten.

Eine aktive Bodenpolitik betreiben: Die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt sind besorgniserregend. Die Tiefzinspolitik führt dazu, dass Immobilien nicht mehr dem eigentlichen Zweck dienen, sondern immer mehr als Anlage- und Renditeobjekte herhalten müssen. Die Schere zwischen den Einkommen und Vermögen ist, aufgrund der rasant gestiegenen Immobilienpreisen, in den letzten zehn Jahren stark auseinandergedriftet. Aus meiner Sicht sind der Kanton und die einzelnen Gemeinden gut beraten, ihre Immobilienstrategien zu hinterfragen und eine aktive Bodenpolitik zu betreiben.

BUZ: Welche Erfahrungen aus Ihrer letzten Tätigkeit beim Planungsamt des Kantons Basel-Stadt helfen Ihnen in Ihrer jetzigen Funktion besonders?
Waltert: Profitieren kann ich auf jeden Fall von meinem grossen Netzwerk. Selbstverständlich kommen im Kanton Basel-Landschaft neue Akteure dazu - viele Schlüsselpersonen wirken jedoch in beiden Kantonen. Für die wichtige bi-kantonale und trinationale Zusammenarbeit hilft mir meine langjährige Tätigkeit in Basel-Stadt sehr.

Auf der fachlichen Ebene profitiere ich von den Erfahrungen, die ich während der 20-jährigen Tätigkeit machen konnte. Die Zeit war geprägt durch die Anwendung von innovativen Planungsverfahren, hohen Ansprüchen an die Bau- und Planungskultur und neuen Formen der Zusammenarbeit.

Die städtebaulichen Fragestellungen und Herausforderungen sind teilweise ähnlich. Um ein Beispiel zu nennen: Infrastrukturprojekte sind immer auch Stadtentwicklungsprojekte. Dabei geht es darum, die Aufgaben – beispielsweise bei einem Tram- oder Strassenprojekt – integral anzugehen und sich die Fragen zu stellen: Wie kann der gebaute und öffentliche Raum mitgedacht und positiv beeinflusst werden? Was sind die Bedürfnisse der Anwohner und der Gewerbetreibenden? Wie kann mit dem Projekt der Lebensraum insgesamt verbessert werden?

Blick vom Wartenberg über Muttenz nach Basel, Deutschland und Frankreich: Die trinationale Agglomeration Basel zählt 850'000 Einwohner und bildet die funktionale Stadt Basel ab. In der qualitätsvollen «Stadtwerdung der Agglomeration» entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit der Region Basel. (Quelle: Martin Huber)

BUZ: Was wünschen Sie sich als oberster Raumplaner für die Zukunft des Kantons Basel-Landschaft?
Waltert: Mut für Innovationen gepaart mit einer gesunden Fehlerkultur, eine respektvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Gemeinden und Regionen und über die Grenzen hinaus, das Einstehen für eine hohe Planungs- und Baukultur, und – ganz wichtig – Toleranz, Gemeinschaftssinn und jeden Tag eine Prise Humor.

BUZ: Nennen Sie drei Schwerpunktthemen, die Sie in naher Zukunft angehen werden.
Waltert: Neben den bedeutenden Kernaufgaben, die in der «ARP-Pipeline» sind, würde ich gerne – sofern es die personellen und finanziellen Ressourcen zulassen – in jedem Teilraum Pilotprojekte lancieren. Im ländlichen Baselbiet die Gemeinden bei der Dorfzentrumsentwicklung unterstützen. In der Hauptstadtregion Liestal interessiert mich der «Masterplan Rheinstrasse» und die Prüfung einer Ausweitung auf den Raum Liestal-Füllinsdorf-Frenkendorf. Im städtischen Baselbiet möchte ich, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Basel-Stadt, mit innovativen Verfahren die sogenannte «Stadtwerdung der Agglomeration» zum Thema machen.

BUZ: Das Baselbiet ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen. Wie viel «Kapazität» hat der Kanton noch für Einfamilienhäuser mit viel Umschwung?
Waltert: Ich sehe noch viel Potential für ein qualitätsvolles Wachstum innerhalb des Siedlungsgebiets. Da müssen wir uns keine Sorgen machen. Den «Traum vom Einfamilienhaus» müssen wir allerdings kritisch hinterfragen – wie so Vieles, was mit der Konsumgesellschaft von findigen Werbern ab den 50/60er Jahren als «das gute Leben» angepriesen wurde und immer noch wird. Selbstverständlich wird auch das Einfamilienhaus in Zukunft noch eine Rolle spielen. Die Zukunftsaufgabe sehe ich aber darin, die bestehenden Siedlungsgebiete weiter zu entwickeln und neu zu beleben, um attraktive Wohnquartiere lebendig zu halten und die Landschaft dabei vor einer weiteren Zersiedlung zu schonen. Aus meiner Sicht müssen der Kanton und die Gemeinden Stadt-, Dorf- und Quartierprozesse aktiver angehen. Dabei braucht es neue Denkansätze in der Raumplanung, aber auch die Landschaftsarchitekten, Architekten und Projektentwickler sind gefordert. Gute Architektur mit einem Mehrwert für das Umfeld sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein.

Blick auf Maisprach von unterhalb der Wintersingeregg: Das Bild steht beispielhaft für Baselbieter Dörfer, die in eine intakte strukturreiche Landschaft eingebettet sind und die baukulturelle Herausforderung des respektvollen Weiterbauens deutlich macht. (Quelle: Martin Huber)

BUZ: Was würden Sie Ihrem auswärtigen Besuch im Kanton Basel-Landschaft unbedingt zeigen?Waltert: Vor dieser Frage stehe ich tatsächlich gerade. Ich halte nebenberuflich Vorlesungen an der Universität Zürich. Ein Bestandteil ist jedes Jahr eine eintägige Exkursion zu raumplanerischen und städtebaulichen Themen. Bisher habe ich mich auf die städtischen Themen fokussiert. Jetzt steht eine Exkursion in meiner neuen Funktion als Kantonsplaner an.

Ich werde versuchen, den Kanton in seiner Gesamtheit und Vielfalt zu vermitteln. Ein möglicher Treffpunkt wäre das Kloster Schönthal in Langenbruck. Via Waldenburg und Bennwil zum Diegtertal, um einen Einblick ins ländliche Baselbiet und einen anderen Blick auf die Nord-Süd-Autobahnachse aufzuzeigen. Die Mittagspause würden wir auf der Sissacherfluh verbringen. Mit Weitblick in alle Richtungen ist das der ideale Ort, um einen Überblick zu vermitteln. Am Nachmittag würde ich das «städtische» Baselbiet zeigen: In Liestal, die mit der «Flaneur d’Or» ausgezeichnete Rathausstrasse, in Pratteln das neu entstehende Bahnhofquartier, in Muttenz das imposante FHNW-Campus-Gebäude und in Birsfelden das Hafenareal. Von da ginge es mit dem Schiff weiter nach Norden und wir würden uns die trinationale Hafenstadt-Landschaft vom Rhein aus anschauen. In Huningue gingen wir an Land und via St. Louis und Basel Nord zum neuen Parc des carrières und zum Bachgraben-Areal in Allschwil. Nach einem Spaziergang der Kantonsgrenze entlang würden wir den Tag auf dem Binninger-Margarethen-Kirchen-Hügel bei einem Apéro ausklingen lassen.

BUZ: Wo wohnen Sie und wie sieht Ihre Wohnumgebung aus?
Waltert: Ich wohne mit meiner Familie in Basel. 200 Meter ennet der Kantonsgrenze, im Übergang vom Gundeldinger- zum Bruderholzquartier, in einem Reihenhaus aus den 30er Jahren. Die Lage ist perfekt, fünf Minuten vom Hauptbahnhof, unmittelbar beim lebendigen Gundeli und nahe bei den Naherholungsgebieten Margarethenpark und Bruderholz.

BUZ: Wie entspannen Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag?
Waltert: Am besten in Gesellschaft meiner Familie und Freunden. Wenn ich nach Hause komme, werde ich in der Regel durch unsere siebenköpfige Familie in andere Welten entführt. Der Austausch mit meiner Frau, die Sichtweisen und Fragen der Kinder zeigen mir jeden Tag auf, dass es sich lohnt an der Zukunft zu arbeiten (lacht). Wenn ich wirklich Zeit zum Nachdenken und für Reflektionen brauche, dann heize ich unsere Holz-Sauna im Garten ein oder mache lange Spaziergänge.